Aargauerzeitung 2013

Das Trio des amerikanischen Saxofonisten Antony Braxton, das in letzter Minute für den erkrankten Cecil Taylor gebucht werden konnte. Hat mit seinem kreativem Exploit gestern Nachmíttag das Jazz Festival Willisau würdig beendet. Das war eine frei schwebende und jederzeit konzentriert mäandernde Musik, die ihre klaren Eckpunkte hatte. Schlagzeuger Gerry Hemingway spielte auf weite Strecken Vibrafon und Marimbafon und gefiel als hochsensitiver, wie auf Samtpfoten spielender und blitzschnell agierender Seismograf. Braxton zeigte seine Klasse als formbewusster und klanglich souverän navigierender Freigeist auf dem Altsaxofon und Sopranino. Dass in dieser strukturierten Improvisation bisweilen der Space fehlte. hatte mit dem Trompeter Taylor Ho Bynum zu tun. der bei aller Virtuosität kaum einmal Pause machte. Auf emsigen Dauerbeschuss mit eingedampfter Jazzgeschichte und solistischen Eskapaden machte auch das Berliner Quartett Squakk das den Nachmittag eröffnete. Aber ihre Stücke waren trotz technischer Raffinessen ungleich leichter verdaulich. dazu gaben sie ihren trockenen Witz.

Ein Fisch als Höhepunkt
Als Highlight dieses Jahr entpuppte sich das Quartett des Saxofonisten Donat Fisch, der mit dem Tenoristen Andy Scherrer, seinem ehemaligen Saxofonlehrer und dem profunden Rhythmusgespann Oester/Pfammatter brillierte. Die Musik wirkte wie die geballte Reminiszenz. an einige grosse Stationen des Sechzigerjahrejazz. und doch war sie ganz und gar eigenständig. Die Band wirbelte in den Uptempo-Stücken mit Bravour durch Hardbop-Gebiete und zeigte in den Balladen. was mit herzerweichend jenseits von Kitsch gemeint ist. Statt sich burschikos mir „Tenorbattles“ aufzuplustern, gaben sich der Meister und der Schüler auf ebenbürtigem Top-Level die Inspirationen weiter, wechselten sich ab, gingen ineinander über. Scherrer spielte energisch geläutert, mit einem scharfen, manchmal luftig knisternden Ton. Der Sound von Fisch schien vergleichsweise seelenvoller. seine Linien kamen quirliger und chamäleonhafter. Beide entwickelten eine solistische Imaginationskraft. wie man sie in diesen Jazz-Breitengraden eigentlich kaum mehr kennt.

Am andern Ende des Spektrums, wo jegliche Jazzstrukturen fehlen und nur noch mikrotonale Prozesse flirren, improvisiert das Trio Karl ein Karl. Peter K Frey (Bass). Michel Seigner (Gitarre) und Alfred Zimmerlin (Cello) erforderten mit ihrer hoch präzisen und hellhörigen Klangmatrix aus Tausenden von Klängen vollste Aufmerksamkeit. Schon fast körperlich spürbar war, wie das Trio die Klangfelder der Stille auslotete. Die Musik schien auf gewissen Tiefenstrukturen zu basieren, war aber dennoch zu jeder Zeit purer Moment. Im voll besetzten Saal der Stadtmühle machte Fredy Studer in seinem herausragenden Solo-Set deutlich, dass auch eine Saftwurzel auf dem Schlagzeug klanglich vielschichtig und dramaturgisch differenziert eine feinsinnige Musik machen kann. Eine Art Saftwurzel ist auch der Bassklarinettist Lucien Dubuis. Der druckvolle und mir sympathischen Ansagen aufgelockerte Future Rock seines Trios war jedenfalls schlüssiger a1s die noisige Zufallsmusik mit ihren zerstückelten Powerphrasen von Nels Cline und Greg Saunier zuvor.

Songprogramm als Premiere
Langatmig bis ärgerlich war der uninspirierte Trance-jazz des Marcus Gilmore Special Projects. Zwar entwickelte das repetitive Kreiseln der einzelnen Patterns, Linien und Riffs mit fortschreitender Zeit eine Art Trip-Textur, die sich heimlich einnistete. Handkehrum musste man erdulden, wie das doch sehr eindimensionale Material richtungslos vor sich hin tändelte. Auch die farblose Delay-Trompete von Graham Haynes war kaum zu entragen. Mit dem amerikanlschen Singer Songwriter Joe Henry setzte Amo Troxler einen Pflock ins Programm, der unter den Jazz-Freaks zu reden gab. Noch nie hat man in der langen Geschichte von Willisau einen Musiker gebört, der wie Johnny Cash oder Bob Dylan ein pures Songprogramm abliefert. Die Qualitäten von Henry sind unbestritten, der Kontext (nach dem Donat Fisch Quartett) wirkte dennoch irritierend, zumal die beiden Mitmusiker zu wenig in Erscheinung traten und das musikalisch breitgefächerte Bouquet, wie es auf den arrangierten Alben von Henry zu hören ist, nicht zum Ausdruck kam.

Da war das neunköpfige Ensemble von Living Lanterns aus Chicago/NewYork ein nahrhafteres Erlebnis. Ihre Musik öffnete sich wie ein Fächer über die ganze Jazzgeschichte und schöpfte gleichzeitig voll aus der zeitgenössischen Jazzsprache. Die Wendigkeit des Musizierens paarte sich mit einer spürbaren Spiellust. Themen wurden leichtfüssig ineinandergeschoben, fein geflochtene Gewebe wechselten mit dichten Grooveteppichen und solistischen Interventionen- ein Höhepunkt.

Pirmin Bossart

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