Der Bund 2013

Das Wunder von Willisau
Das 39. Jazzfestival hinterliess das Publikum staunend. Auch dank eines Musikers, der eigentlich bloss als Ersatz auftrat.

Niemand in Willisau konnte in den vergangenen Tagen dem Jazz ausweichen. Und auch wenn der WiIIisauer Bote unter dem Titel „Das Volk sucht seinen König“ am Freitag nicht etwa über den grossen US-Jazzer Cecil Taylor berichtete, der sein Konzert am Sonntag aus gesundheitlichen Gründen hatte absagen müssen, und wenn der König für den WiIIisauer Boten a1so kein Jazzmusiker war, sondern immer noch der Schwingerkönig des Eidgenössischen - das Lokalblatt rapportierte breit, sehr breit über die schwierige Kunst namens Jazz. Die schien ihm gleich nach dem Schwingen zu kommen. Und ja, man darf noch immer staunen über das Willisauer Festival mit seinen Avant-Tönen und über seine Akzeptanz in katholischen Stammlanden. Auch im fünften Jahr nach dem Stabwechsel von Niklaus Troxler zu seinem Neffen Arno ist die blosse Existenz dieses Festivals und sein Fortgedeihen ein Mirakel geblieben.

Graue Eminenz Niklaus Troxler
Ein Mirakel im übrigen, das nun wissenschaftlich erforscht wurde - am Festival konnte ein dicker Ziegel von Buch über den Jazz In Willlsau vorgestellt werden. Und auch dies ist noch zu sagen über dieses Festival: Der lange Schatten von Gründervater Niklaus Troxler ist weiterhin spürbar. Der berühmte amerikanische Avantgarde-Saxofonlst Anthony Braxton meinte etwa am Sonntag bei seinem Konzert von der Bühne herab zu Niklaus Troxler - den er von früheren Konzerten her kennt -, dass, wer ein solches Festival so lange durchgehalten habe, dies nur habe schaffen können, indem er sich selber als regelrechtes Mitglied der Musiker-Community sah und Anteil nahm an der Szene. Antony Braxton war aus dem Hut gezaubert worden als Ersatz für Cecil Taylor, der als Hauptattraktion des Festivals gegolten hatte. Eine glückliche Wahl.

Die Vielseitigkeit von Braxton
Im Trio mit dem dem Trompeter Taylor Ho Bynum und dem Drummer Gerry Hemingway spielte Braxton eine schwerelos anmutende Musik. Luftig klang das schon dadurch, dass ein Bass nicht vorkam; und Anthony Braxton spielte oft das zierliche, hoch klingende Sopranino-Saxofon. Mochte das Klangbild zuweilen in den Konturen verwischen, wenn die Bläser die Töne pointillistisch setzten - offenkundig war, dass auf dem Grunde der Klänge ausgeklügelte Konzepte schlummerten. Man spürte den ungeheuren Klangkosmos im Kopf von Braxton, eines Menschen, der für sich die Musik nicht als Einbahnstrasse einer einzigen Musikform sieht, sondern in viele Richtungen geht. Das auch in ein und demselben Konzert. Vor Braxton hatte am Sonntag schon eine andere Gruppe grossartig musiziert. Präzis gebaute Stücke voller kompositorischer Kleintricks waren beim deutschen Quartett Squakk zu hören. Und zugleich war hier der Humor König. Klarinettist Rudi Mahall wirkte wie Eulenspiegel höchstpersönlich, Posaunist Christof Thewes gab einen ins Virtuose mutierten Bremer Stadtmusikanten (am Kontrabass Jan Roderer, Michael Griener an den Drums). Ein Unsinn höherer Sorte also. Und so wurde der Sonntag, der das Festival beschloss, zum stärksten Tag der diesjährigen Willisau Ausgabe.

Geheimtipp des Schweizer Jazz
Man muss nun doch auch noch kurz zurückblicken dürfen auf die Vortage des Festivals, das seit Mittwoch lief. Einer darf nämlich nicht vergessen gehen: der Berner Alt- und Tenorsaxofonist Donat Fisch. Einen ganz splendiden Auftritt hatte er am Freitag. Der ganz uneitle Fisch, der manchen als eines der bestgehütetsten Geheimnisse des Schweizer Jazz gilt, wurde in Willisau von seinem Publikum umjubelt. Mit dem Tenorsaxofon-Doyen, in der Schweiz, Andy Scherrer, dem Kontrabassisten Bänz Oester und dem Schlagzeuger Norbert Pfammatter kurvte Donat Fisch durch Eigenkompositionen. Die Stücke atmeten in den oft liedhaften Themen den übersprudelnden Tonfall eines Ornette Coleman, im Grunde ging es hier aber um die Improvisationen, in denen Fisch und Scherrer ihre ganze Eloquenz wunderbar entfalteten. Und fast wollte dem Zuhörer Fisch mit seiner kernigen Angriffigkeit glutvoller wirken als der gewohnt geschmeidig-souveräne, aber irgendwie auch „klassisch“ anmutende Scherrer. Man mochte Donat Fischs Spiel vielleicht nicht königlich nennen. Schwergewichtig und schwungvoll aber schon. Fisch stand so exemplarisch für das Willisauer Jazzfestival dieses Jahr. Die zweifelnden Stimmen zu dem Jazzanlass sind verstummt. Zu spüren war allenthalben Zuversicht.

Christoph Merki

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