Der Bund 2018

Verdoppeltes Vergnügen

Vom schrulligen Gitarrenduo bis zum famosen Saxofontandem: Am 17. Be-Jazz-Winterfestival kam es zu denkwürdigen Paarungen

Zwei Schlagzeuger, zwei Elektrogitarristen, zwei Bassklarinettisten und ein Elektrobassist: Solche speziellen Besetzungen treiben die meisten Tontechniker in den Wahnsinn. Doch beim umjubelten Auftritt in der Vidmarhalle klang das schweizerisch-österreichische Mega-Septett The True Harry Nulz selbst in sehr lauten Passagen erstaunlich transparent. Und so sei zu Beginn dieser Berichterstattung über das 17. Be-Jazz-Winterfestival den hellhörigen Anti-Klangbrei-Tontechnikern Martin Ruch und Christoph Utzinger ein grosses Lob ausgesprochen.

Bei The True Harry Nulz handelt es sich um eine Fusion aus zwei Bands, nämlich dem Quartett The Great Harry Hillman aus der Schweiz und dem Trio Edi Nulz aus Österreich. Als Fusion könnte man auch die Musik von The True Harry Nulz bezeichnen – allerdings nicht im Sinne eines Aufwärmens von Ideen aus den 1970er-Jahren, sondern als lustvolle Zusammenführung aktueller Musikformen sowie als Symbiose aus Übermut und Präzision.

Munteres Strapazieren

Da treffen komplexe Arrangements (alles auswendig gespielt!) auf spontane Ausflipp-Eskapaden – für grosse Begeisterung und Erheiterung sorgte zum Beispiel ein ins Absurde ausuferndes Duell zwischen den Schlagzeugern. Besonders eindrücklich war die Klangwand aus übersteuerten E-Gitarren und schreienden Bassklarinetten. Von all den Bands, die sich das Strapazieren des Jazzbegriffs auf die Fahne geschrieben haben, hinterliess The True Harry Nulz den muntersten und überzeugendsten Eindruck.

Verrückte Verdoppelungen haben im Jazz immer wieder aufhorchen lassen – man denke etwa an das Doppelquartett, mit dem Ornette Coleman 1960 das epochale Album «Free Jazz» aufnahm, oder an das Henry Threadgill Sextett mit zwei Schlagzeugern oder an die Electric Bebop Band Paul Motians mit zwei Saxofonisten und zwei Gitarristen. Ein Gitarristendoppel gabs auch am diesjährigen Winterfestival zu hören, allerdings nicht in einem Bandkontext, sondern im intimen Duoformat. Im Rahmen der Frühschicht-Reihe oszillierten Philipp Schaufelberger und Noël Akchoté bei ihrem Auftritt im Be-Jazz-Club zwischen Anarchie und Nostalgie: Mit schrulliger Nonchalance erfanden sie gleichermassen freche wie liebevolle Instant-Arrangements für Ohrwürmer aus der Urzeit des Jazz, wobei die Schlüsse zumeist sehr überraschend gerieten.

Für das reifste und substanziellste Konzert sorgte das alles andere als neue Quartett des Saxofonisten Donat Fisch, zu dem mit Andy Scherrer (Tenorsax), Bänz Oester (Bass) und Norbert Pfammatter (Schlagzeug) drei weitere Meister ihres Fachs gehören. Neu waren allerdings fast alle dargebotenen Stücke, was einer kleinen Sensation gleichkommt, wenn man bedenkt, dass Fisch sein ausschliesslich aus mal elegischen, mal mitreissend swingenden Eigenkompositionen bestehendes Repertoire bisher nur in homöopathischen Dosen zu erneuern pflegte.

Das Gegenteil von Blendern

Diese Band strahlte eine unglaublich abgeklärte Souveränität aus. Tiefschürfende Improvisationen wurden ganz ohne Allüren vorgetragen. Die phänomenale Klangkultur wurde nicht eitel zelebriert. Wilde Turbulenzen wurden nicht extravagant auf die Spitze getrieben, sondern subtil sublimiert. Der oft griesgrämig dreinblickende Scherrer und der Naturbursche Fisch sind das Gegenteil von Blendern – wohl nicht zuletzt deshalb verstehen sie sich in musikalischer Hinsicht blendend.

Weil Lionel Friedli seinen Fuss gebrochen hat, sass Norbert Pfammatter am Freitag auch beim zweiten Konzert auf der Hauptbühne am Schlagzeug. Und so durfte man erleben, wie dieser grossartige Groove-Jongleur sich selbstlos in eine ganz andere musikalische Umgebung einfügte und trotzdem dem Bandsound seinen Stempel aufzudrücken vermochte. Das Quartett Parallels des Genfer Saxofonisten Nicolas Masson hat seinen Bandsound im Laufe der Jahre stark verändert. Früher sass Colin Vallon am Elektropiano, jetzt am Flügel. Und Masson hat seiner Soundpalette mehr hymnischen Wohlklang und Schwermutspathos hinzugefügt. Die Rolle des Bassisten Patrice Moret hat sich dagegen nicht verändert: Mit sehr sonoren und sorgfältig ausgewählten Tönen ist er das Rückgrat der Gruppe.

Alles in allem kommt Parallels wie eine zeitgemässe Variante von Keith Jarretts europäischem Quartett (u. a. mit Jan Garbarek) daher; früher erinnerte die Gruppe dagegen eher an New-New-York-Innovatoren wie Craig Taborn, Chris Speed oder Jim Black.

Leise bis eruptiv

Massons Quartett bewegt sich zwischen Introspektion und Emphase, zwischen Schöngeistigkeit und Widerborstigkeit, zwischen leisen Tönen und eruptiven Ausbrüchen. Im Gegensatz zu Jarrett sind Vallon allerdings ekstatische Anwandlungen fremd – er sucht sein Glück vielmehr im intuitiven Ertasten und vorsichtigen Entwickeln eigenwilliger Ideen. Manchmal hat man gar das Gefühl, er habe Angst vor seiner Virtuosität. (Der Bund)

Erstellt: 29.01.2018, 06:50 Uhr

❮ zurück