Der Landbote 2008

Von der Einsamkeit und der Gemeinschaft
Der Saxofonist Donat Fisch, der Bassist Bänz Oester und der Schlagzeuger Norbert Pfammatter haben sich in der Esse-Musicbar als magistrale Improvisatoren mit Ecken und Kanten präsentiert.
Donat Fisch ist keine Eintagsfliege. Mit Beharrlichkeit arbeitet der Saxofonist aus Bern seit vielen Jahren an seinem eigenen musikalischen Ausdruck – sei es als Erfinder formal ungewöhnlicher Miniaturen, sei es als zugleich äusserst eloquenter und knorriger Improvisator.
Donat Fisch ist ein Eigenbrötler. Weil er nicht alle paar Monate ein trendiges Projekt aus dem Hut zaubert, sondern immer wieder mit denselben Musikern zu denselben Stücken zurückkehrt, bedeutet dies noch lange nicht, dass Donat Fisch das Risiko scheut. Das Gegenteil ist der Fall: Er kann sich nicht hinter neuartigen Fassaden und effektvollen Floskeln verstecken, sondern muss in die Tiefe bohren. Dies verleiht seinem Schaffen eine existenzielle Note. Die Musik von Fisch ist intensiv und ideenreich, sie oszilliert zwischen anarchischer Entfesselung und kontrollierter Logik. Es gibt nicht viele Saxofonisten, die innerhalb, eines Konzerts Erinnerungen
an John Coltrane und Ornette Coleman, Sonny Rollins und Joe Henderson, Sam Rivers und Charles Lloyd zu wecken vermögen und trotzdem ein Höchstmass an Originalität für sich reklamieren dürfen. Fisch ist einer von ihnen. Mit anderen Worten: Hier setzt sich einer fundiert mit der Vergangenheit auseinander, um dann eigene Schlüsse zu ziehen und den Schritt in die Zukunft zu wagen. Der Kontrabassist Bänz Oester und der Schlagzeuger Norbert Pfammatter verfügen über das nötige Rüstzeug, um Fisch Paroli bieten zu können: wenn es sein muss, können sie das Heft auch selbst beherzt in die Hand nehmen. Der Auftritt dieses Trios in der Esse-Musicbar war ein musikalisches Ereignis: voller Authentizität und Abenteuergeist.
Dynamische Bandbreite die ,Musik schien sich vollkommen organisch zu entwickeln, die Wechsel zwischen volksliedhafter Einfachheit und geräuschhafter Komplexität, zwischen lyrischer Anmut und expressiver Dringlichkeit wirkten nicht erzwungen, sondern ergaben sich wie von selbst. Dieses Trio braucht keine ausgeklügelten Konzepte, solche stünden dem Spielfluss nur im Weg. Dieser Spielfluss entwickelte sich in ganz unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Strömungsarten: schnell und frei pulsierend; ruhig dahinfliessend; mit gefährlichen Strudeln; in heftigen Schüben; kaskadenartig. In klanglicher Hinsicht zog das Trio ebenfalls sehr viele Register; das dynamische Spektrum reichte von Beinahestille bis zu lautstarken Eruptionen. Auf dem Programm standen am unter anderem eine Reihe von Nummern, die auch auf dem exzellenten, vor drei Jahren eingespielten Album «Live im Bird's Eye» (Unit) zu hören sind. Es waren aber auch zwei Neuzugänge im Fisch-Repertoire, das sich behutsam und in langen Zyklen teilweise erneuert, zu verzeichnen. Beide Stücke entstanden in diesem Sommer bei einem Aufenthalt in der norwegischen Wildnis. Der Naturbursche Fisch braucht solche Auszeiten - die Herausforderungen, die die Einsamkeit und das Fehlen zivilsatorischer Annehmlichkeiten mit sich bringen, sind ebenso eine Triebfeder seiner Kreativität wie der Wunsch, zu einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten zu gehören. Dass der studierte Biologe beim Jazz landete, ist also höchstwahrscheinlich keiner Laune des Zufalls zuzuschreiben, bringt doch diese Musikform, sofern man sie denn wirklich ernst nimmt, individuelles Freiheitsstreben und Gemeinsinn auf geradezu idealtypische Weise zusammen.'

Tom Gsteiger

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