Die Weltwoche 2017
Jazz as Jazz Can
Der Einfall des Kritikers Tom Gsteiger, der gelegentlich ins Fach des Produzenten wechselt, mag auf den ersten Blick etwas skurril erscheinen: Seine jüngste CD mit dem in der Schweiz arbeitenden amerikanischen Pianisten William Evans, dem Saxofonisten Donat Fisch (und für zwei Nummern Andy Scherrer dem Altmeister am Tenor), dem Bassisten Bänz Oester und dem Drummer Jorge Rossy trägt den Namen „Schlitten“. Das meint nicht das winterliche Rodelgerät, sondern ist der Name eines etwas verkannten amerikanischen Plattenproduzenten, der für Labels wie Signal, Prestige, Muse, Onyx und Cobblestone arbeitete, bevor er in den Siebzigern sein eigenes Unternehmen namens Xanadu gründete. Kürzlich auf CDs wieder aufgelegt, hielt sich dessen Renommee in den Jahren seiner Gründung in grenzen. Was nicht an der Qualität der Musik lag, sondern eher an deren Unzeitgemässheit in Zeiten von angesagtem Jazzrock und Fusion. Don Schlitten produzierte klassischen modernen Jazz, modern mainstream, mit Musikern wie Al Cohn, Barry Harris, Dexter Gordon, Nick Brignola u.a. So gesehen hat diese Hommage an den renaissancehaft vielseitigen Schlitten (er war auch Fotograf, Grafiker, Verfasser von liner notes, Konzertorganisator) – so gesehen hat diese etwas merkwürdige Hommage durchaus ihre Logik. Sie enthält Musik, wie Schlitten sie geliebt hat, swingenden no-nonsese-straight-ahead-Postbop auf der Basis von Standards (der älteste Jerome Kerns „Bill“ von 1917, der jüngste Thelonious Monks „Bemsha Swing“ von 1952). Gescheite Musik mit Glanzlichtern des luftig lyrischen Joe-Henderson-Nachfolgers Fisch („Sweet Lorraine“!) und der Gastpräsenz von Scherrer in den zewi Monk-Reverenzen. Nicht zu vergessen das immer diskrete, sensible und knackige Piano von Evans, in der Schweizer Szene unter den vielen guten zweifelsohne einer der meistunterschätzten Pianisten. Kurz, zusammen mit der Rhytmusgruppe insgesamt eine helle Freude, auch wenn da einige Avantgarde-Scouts mäkeln mögen, hier werde nicht der Jazz neu erfunden.
So what – solang der alte so lebendig ist…
Peter Rüedi