«Der kleine Bund» Samstag, 8. Dezember 2007

Sehr frisch, dieser Fisch

Donat Fisch zählt nach wie vor zu den bestgehüteten Geheimnissen des Schweizer Jazz. Er ist Saxofonist und Komponist, zudem Biologe und wissenschaftlicher Zeichner, und wenn er durch die Natur streift, dann hat er einen Zeichenblock und ein Saxofon bei sich. Porträt eines Eigenbrötlers, der sich seinen Rhythmus nicht von Trends diktieren lässt.
Der Einfluss von Geografie und Architektur auf die Menschen, auf ihre Lebensweisen und ihr Weltbild wäre noch genauer zu erforschen. Immerhin: Die bohrende Motivik und diezuweilen schier klaustrophobischen Kreiselbewegungen in der Musik des Pianisten Thelonious Monk – verraten sie nicht viel von dessen Existenz in einer winzigen 2-Zimmer-Parterrewohnung im New Yorker Viertel San Juan Hill, wo er rund sechzig Jahre seines Lebens zubrachte und das Klavier in der Küche stand?
Bei Donat Fisch dreht sich gerade Monks Soloalbum «Thelonious Himself» auf dem Plattenteller; später wird er diese LP in eine Auswahl seiner Lieblingsaufnahmen einreihen. Nach einem Abstecher in die Stadt lebt Fisch heute wieder inder Halensiedlung bei Herrenschwanden, wo er auch aufgewachsen ist. Die mit viel Grün überwucherte Siedlung in einer Waldlichtung prunkt und protzt nicht, ihre Vorzüge erschliessen sich einem erst nach und nach, und man wird das Gefühl nicht los, dieses Understatement habe auf Fisch abgefärbt.

So sinnlich wie vertrackt
Dieser Fisch ist kein Jetzt-komm-ich-Typ mit starken Ellbogen; auch keiner, der sich einem an die Brust wirft oder sich auf dem Internet-Jahrmarkt Myspace selbst anpreist: Er ist ein unprätentiöser Künstler, dessen Qualität sich nicht zuletzt in der Fähigkeit zeigt, sich ständig zu hinterfragen und zu erneuern. Zurzeit befasst er sich mit grösseren Intervallsprüngen und mit der Verfeinerung seiner Phrasierung, und in typisch bescheidener Art meint er dazu: «Es braucht Jahre, bis das Wurzeln schlagen kann.» Bei der Lethargie von Veranstaltern, Publikum und Kritik ist es auch kein Wunder, dass der fünfzigjährige Saxofonist und Komponist nach wie vor zu den bestgehüteten Geheimnissen des Schweizer Jazz zählt; sogar in Musikerkreisen löst sein Name zu oft die Frage aus: Wer ist das? Dabei hat Fisch längst gezeigt, was er zu bieten hat: Er ist ein sehr bewusster Improvisator mit einem breiten Vokabular, der es bestens versteht, auf dem schmalen Grat zwischen Logik und Intuition zu balancieren – er bleibt nicht in technischen Kabinettstückchen stecken, sondern lässt seine systematisch erarbeiteten Kenntnisse in einen unklischierten, in sich stimmigen Klangstrom voller Überraschungen münden. Seine gleichermassen vertrackte wie sinnliche Motivik spricht Kopf und Bauch an, seine Rhythmik ist variabel und nie neben den Schuhen. Dazu kommt eine Klangkultur, die zwischen kerniger Angriffigkeit und spröder Gesanglichkeit oszilliert.
Dass Fisch beim Jazz landen würde, war nicht von Anfang an klar. Zuerst einmal zog es ihn in die Natur hinaus, die für ihn noch heute ein wichtiges Refugium ist – beim Fischen, beim Pilzesammeln oder bei mehrwöchigen Wanderungen durch den hohen Norden. Hier fertigt er Bleistiftskizzen an, die etwas von der Akribie verraten, die er sich bei der Ausbildung zum wissenschaftlichen Zeichner angeeignet hat. Bei seinen Treckings hat er zudem immer ein Saxofon im Gepäck.
Die Liebe zur Natur liess sich Fisch auch durch ein Biologiestudium nicht austreiben. Heute sieht er sich als «Forscher auf einem Gebiet, wo mir niemand dreinredet». Mit den Grundlagen dieses Gebiets hat er sich parallel zur Uni an der Swiss Jazz School beschäftigt, wo er insbesondere vom zehn Jahre älteren Andy Scherrer gefördert wurde. «Bei ihm habe ich gewusst: Wenn ich so spielen will, muss ich üben», sagt Fisch über Scherrer. «Er hat die Tradition verarbeitet und zu einer eigenen Stimme gefunden. Wenn er spielt, spürt man das Charisma eines richtigen Jazzmusikers, er ist kein Akademiker.»

«Was in mir drin ist»
Nach der Schule entdeckte Fisch den harmolodischen Freebop von Ornette Coleman. Die Stücke des unorthodoxen Texaners bestärkten ihn darin, an seinen Ideen festzuhalten, auch wenn diese nicht in konventionelle Schemen passen. So entstand ein schmales, aber substanzielles kompositorisches OEuvre, das eine überdurchschnittliche individuelle Ausdruckskraft verrät und dabei doch von einer fundierten Auseinandersetzung mit der Jazztradition zeugt. Fischs prägnantliedhafte Stücke entstehen nicht am Reissbrett, sondern basieren auf improvisierten Einfällen, sie bringen Raffinesse und Fabulierlust zur Deckung und sind manchmal folkloristisch gefärbt. An den meisten Stücken tüftelt Donat Fisch herum, manchmal geschehen aber auch kleine Wunder: «Wenn ich längere Zeit alleine in der Natur unterwegs bin, kann es zu spontanen Eingebungen kommen. In der Stille höre ich besser, was in mir drin ist und raus will.» Für Fisch ist der Jazz ein «Kosmos mit unendlich vielen Möglichkeiten», seine Stücke dienen ihm dazu, die Fülle dieser Möglichkeiten einzuschränken und zu kanalisieren. Seit 1989 entwickelt er seine Musik konsequent im Trio. Seit dem Anfang dabei ist der Schlagzeuger Norbert Pfammatter, dem Fisch eine extrem schnelle Auffassungsgabe und Experimentierlust attestiert. Den Kontrabass-Part übernahm anderthalb Jahrzehnte lang Thomas Dürst. Auf ihn folgte Bänz Oester, der schnell seinen Platz im sehr demokratischen Triokonzept fand. Davon kann man sich auf der CD «Live im Bird’s Eye» (Unit) selber überzeugen, die vor zwei Jahren aufgenommen wurde und nun erscheint (die Fotografie auf dem Cover zeigt Fischköder, die Fisch selber hergestellt hat).

Der Schüler und sein Lehrer
Hin und wieder wird sein Trio zum Quartett erweitert; besonders aufregende Reibereien ergaben sich aus der Konfrontation mit dem unerschrockenen Bassklarinettisten Hans Koch. Für die Taufe des neuen Albums stösst nun Andy Scherrer zum Trio: Da werden sich der Lehrer und sein ehemaliger Schüler auf Augenhöhe begegnen – ein Gipfeltreffen zweier Saxofonisten, die ihre Virtuosität nie als Selbstzweck zelebrieren. Neben dem Trio unterhält Fisch ein asketisches Duo mit dem Schlagzeuger Christian Wolfarth. Als Sideman ist er in den Bands der Trompeter Peter Schärli und Martin Dahanukar aktiv.
Wenn man das so nacheinander aufzählt, tönt es nach viel, doch in Tat und Wahrheit steht Fisch nur selten auf der Konzertbühne.

TOM GSTEIGER

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